Die Rolle der Hausärzt:innen in der Palliativbetreuung
November 2024
„Das GANZ NORMALE Sterben, also ohne Krankheit, einfach im Alter, das geht schon. Aber wie gesagt, alles andere, wo wirklich sich die Leute schwer tun beim Gehen, also da schaue ich immer, dass in irgendeiner Art und Weise das Team, zumindest in zweiter Reihe steht.“
„…wirklich diese Gespräche, … die Gespräche über das Sterben zu führen. Ich habe mich gefürchtet ohne Ende.“
Das sind zwei Aussagen von Tiroler Hausärzt:innen aus einer aktuellen Masterarbeit[1]. Verdichtet kommt darin zum Ausdruck, dass die Betreuung am Lebensende zwar Teil der hausärztlichen Tätigkeit ist, aber doch besondere Herausforderungen mit sich bringt.
Hausärzte und Hausärztinnen verfügen durchaus über Ressourcen, Menschen am Lebensende zu betreuen[2]: praktische Erfahrung, Weiterbildung, die unausgesprochene moralische Selbstverpflichtung, Menschen bis ans Lebensende zu betreuen. Auch gute regionale Netzwerke, wie es sie in Tirol gibt, sind für sie eine Ressource.
Die Betreuung zu Hause setzt Wissen um Symptomlinderung, Gespräche über Prognose, über mögliche Betreuungsoptionen und Hausbesuche voraus. Und auch die Angehörigen vor Ort brauchen Gespräche mit dem Arzt und der Ärztin: Informationen, Beratung, Bestärkung, Trost. Ein dokumentierter Behandlungsplan unter Berücksichtigung des Patientenwillens ist notwendig, um zu vermeiden, dass nicht indizierte Behandlungen oder Behandlungen gegen den Patient:innenwillen erfolgen. Die palliative Betreuung zu Hause ist mit einem Mehraufwand verbunden, der sich nur unzureichend in den Leistungskatalogen für Hausärzte und Hausärztinnen abbildet.
Nach internationalen Schätzungen benötigen 20 Prozent der Krebspatient:innen und fünf Prozent der Patient:innen mit nicht onkologischen Grunderkrankungen in ihrem letzten Lebensjahr eine spezialisierte Palliativversorgung.[3] Dies bedeutet, dass die meisten Menschen in der letzten Lebensphase keine speziellen Versorgungsangebote brauchen, sondern in erster Linie eine gut funktionierende ärztliche und pflegerische Grundversorgung.[4]
Auch dann, wenn Mobile Palliativteams zur Unterstützung beigezogen werden, sind bei schwerkranken und sterbenden Menschen mit fortschreitender, lebensbegrenzender Erkrankung bestimmte Grundleistungen durch Hausärzt:innen praktisch immer erforderlich.
Herausfordernde Aufgaben in der hausärztlichen Praxis in der Allgemeinen Palliativversorgung sind:
- das rechtzeitige Einleiten von Maßnahmen der Palliative Care mit dem Fokus auf Symptomlinderung und vorausschauender Planung;
- Gespräche über das Sterben und den Tod;
- die Identifikation von Patient:innen, für die palliative Betreuung von Nutzen ist[5].
Im Folgenden wird näher auf die Kommunikation (1) und auf vorausschauende Planung (2) im hausärztlichen Setting und dann auch auf die Bedürfnisse von Hausärzt:innen hinsichtlich Aus- und Weiterbildung in Palliative Care (3) eingegangen.
1 Kommunikation am Lebensende
Als Herausforderungen erleben Hausärzte und Hausärztinnen den Umgang mit starken Emotionen, Gespräche mit Patient:innen und Angehörigen gemeinsam in belasteten familiären Konstellationen und hohe Erwartungen der Angehörigen. Eigene Ängste vor Hilflosigkeit beschreiben sie als belastend, ebenso die Ungewissheit, was die kranken Menschen selbst wollen, besonders bei Menschen aus anderen Kulturkreisen. Sie fühlen sich unsicher, wenn die Symptomlinderung schwierig ist, sowie bei Fragen hinsichtlich Prognose und weiterem Verlauf.
Hinderlich für gute Kommunikation mit den kranken Menschen und ihren Angehörigen ist eine schleppende und erschwerte Kommunikation mit anderen betreuenden Ärzt:innen.[6]
Auch Patienten und Patientinnen wurden befragt. Sie wünschen sich, dass der Hausarzt, die Hausärztin für das Ansprechen von Themen, die am Lebensende relevant sind, die Initiative ergreift (z.B. über Ängste, Wünsche, Erwartungen, unerledigte Dinge). Der Hausarzt, die Hausärztin soll bei praktischen Problemen hilfreich und für emotional belastende Situationen einfach da sein („just be there“).
Dies sind Aufgaben, für die sich Hausärzte und Hausärztinnen durchaus zuständig fühlen, die aber Zeit und wohl auch Training brauchen.
Sie finden es problematisch, wenn sie zu wenig Zeit aufwenden und die Kontinuität der Betreuung nicht aufrechterhalten können und benennen in diesem Zusammenhang auch die unzureichende Honorierung von ärztlichen Gesprächen.[7]
2 Vorausschauend planen
Eine realistische und den sich verändernden Bedürfnissen angepasste vorausschauende Planung wirkt sich in mehrfacher Hinsicht positiv aus und hilft, unnötige Krankenhauseinweisungen zu vermeiden.
Die Nutzenpotentiale sind sowohl auf der gesellschaftlich ökonomischen als auch auf der individuell persönlichen Ebene evident, weil vorausschauende Planung sich an den Bedürfnissen und den Erwartungen der Betroffenen orientiert und die meisten Menschen das Lebensende zu Hause einer institutionellen Betreuung vorziehen. Die Versorgung zu Hause ist gesamtgesellschaftlich betrachtet immer noch die günstigste Versorgungsform.
Vorausschauende Planung ist für viele Ärzte und Ärztinnen ein „heißes Eisen“. In einer Gesellschaft, in der über Tod und Sterben nicht gesprochen wird, ist es schwierig, Gespräche darüber zu initiieren. Hausärzte und Hausärztinnen sehen diese Gespräche durchaus als ihre Aufgabe. Einfacher ist es für sie, wenn die Patient:innen proaktiv sind und über den möglichen Verlust der Entscheidungsfähigkeit sprechen. Schwieriger als bei Tumorpatient:innen ist vorausschauende Planung bei Menschen mit COPD oder Herzinsuffizienz. Patient:innen, die noch aktiv behandelt werden, sind für diese Gespräche oft noch nicht bereit. Hausärzte und Hausärztinnen betonen, dass nicht alle kranken Menschen vorausplanen wollen, dass sich Wünsche ändern und dass der Verlauf letztlich unverfügbar ist.[8]
Gespräche über Vorausschauende Planung fallen Hausärztinnen und Hausärzten leichter, wenn sie gelernt haben, wie man diese Gespräche beginnen kann, was ein guter Zeitpunkt dafür ist, wenn sie Erfahrung mit dem typischen Verlauf einer Erkrankung haben, wenn sie in einer langjährigen Betreuungsbeziehung mit dem Patienten, der Patientin stehen. Und leichter fallen den Ärzten und Ärztinnen diese Gespräche auch im häuslichen Setting als in Institutionen.[9]
Die praktische Umsetzung des vorausverfügten Willens kommt bei eingeschränkten Personalkapazitäten an die Grenzen.[10]
Exkurs: Das Lebensende im Pflegeheim und die Vorausschauende Planung
Auch das Ende im Pflegeheim soll möglichst nach den Vorstellungen der Betroffenen und ihren Bedürfnissen gestaltet werden; manchmal sind ungeplante Krankenhausaufenthalte für Pflegeheimbewohner:innen eine große Belastung ohne Nutzen.
Pflegeheimbewohner:innen werden häufiger hospitalisiert als nicht institutionalisierte Gleichaltrige und eine Vielzahl an Rettungsdiensteinsätzen und Krankenhauszuweisungen wird als potenziell vermeidbar eingeordnet.[11] Auch wenn Verletzungen, Frakturen, kardiovaskuläre und respiratorische Erkrankungen sowie Infektionskrankheiten als die häufigsten retrospektiv erfassten Diagnosegruppen gute Gründe zu sein scheinen, so lassen sich doch einweisungsbegünstigende Umstände identifizieren: bewohnerbezogene (z. B. Multimorbidität, fehlende Vorausverfügungen), einrichtungsbezogene (u. a. Personalfluktuation, Unsicherheiten), arztbezogene (z. B. mangelnde Erreichbarkeit, erschwerter Zugang zu Fachärzt:innen) und systembedingte (z. B. eingeschränkte Möglichkeiten zur Diagnostik und Behandlung in Einrichtungen). Vorausschauende Planung kann vermeidbare Krankenhauseinweisungen reduzieren.
3 Weiterbildung für Hausärzte und Hausärztinnen in Palliative Care
Die Betreuung von kranken Menschen bis zu ihrem Tod, wenn möglich zuhause, gehört zum beruflichen Selbstverständnis von Hausärztinnen und Hausärzten, und sie haben eine hohe Motivation, dies praktisch und in Beziehung zu den kranken Menschen verantwortungsbewusst zu übernehmen, und eine entsprechende Lernbereitschaft. In einer Forschungsarbeit wurden Lernbedürfnisse von Hausärztinnen und Hausärzten erfasst. [12] Erfahrungsbasiertes Lernen und pragmatische Lernstile waren die bevorzugten Lernstile. Die hausärztlich tätigen Studienteilnehmer:innen hoben die Bedeutung einer freundlichen Lernumgebung hervor, in der sie ihre Defizite frei äußern konnten. Das entspricht Erfahrungen, dass insbesondere trainingsbasierte Lernformen hilfreich und effektiv sind, etwa, um Gespräche über den zukünftigen Verlauf der Erkrankung zu führen oder den Bedarf an Palliative Care zu identifizieren.
Zusammenfassung
Hausärzt:innen spielen eine entscheidende Rolle für die Möglichkeit, zu Hause zu bleiben. Für die patientenorientierte Palliativversorgung ist die hausärztliche Praxis der Dreh- und Angelpunkt.[13] In der hausärztlichen Praxis findet die Koordination unterschiedlicher Betreuungseinrichtungen statt.
Die Vorteile einer guten hausärztlichen Versorgung bis ans Lebensende liegen für die Betroffenen und für das Gesundheitssystem auf der Hand: der einfache Zugang, die hohe Versorgungskontinuität, die Vermeidung von Unter-, Über- und Fehlversorgung u.a.m. Eine der Voraussetzung dafür ist die frühzeitige Identifikation von Palliativpatient:innen in den Einrichtungen der Grundversorgung.
In einem der nächsten Newsletter wird es um die Herausforderung gehen, den palliativen Betreuungsbedarf zu erkennen, und einzuschätzen, wann unterstützende Einrichtungen hilfreich sein können.
[1] Nasrouei-Schmidt L. „End-of-Life-Care at Home”. Perspektiven der betreuenden Hausärzt*innen auf die Bedingungen von „gutem“ Sterben zu Hause. Masterthesis an der PMU Salzburg 2023.
[2] Boudy CA et al. Home-based palliative care management: what are the useful resources for general practitioners? a qualitative study among GPs in France. BMC Family Practice 2020; 21:222.
[3] European Association for Palliative Care. White Paper on standards and norms for hospice and palliative care in Europe. 2009, https://eapcnet.eu/eapc-publications/.
[4] Schneider N, Mitchell G, Murray SA. Ambulante Palliativversorgung. Der Hausarzt als erster Ansprechpartner. Deutsches Ärzteblatt 2010; 107: A925–A927.
[5] Afshar K et al.: Structured implementation of the Supportive and Palliative Care Indicators Tool in general practice – A prospective interventional study with follow-up. BMC Palliative Care 2022; 21:214.
[6] Slort W. et al. Facilitators and barriers for GP–patient communication in palliative care: a qualitative study among GPs, patients, and end-of-life consultants. British Journal of General Practice 2011; e167-e172.
[7] Nasrouei-Schmidt L. „End-of-Life-Care at Home”. Perspektiven der betreuenden Hausärzt*innen auf die Bedingungen von „gutem“ Sterben zu Hause. Masterthesis an der PMU Salzburg 2023.
[8] Wichmann AB et al. Advance care planning conversations with palliative patients: looking through the GP’s eyes. BMC Family Practice 2018; 19:184.
[9] De Vleminck A. Barriers and facilitators for general practitioners to engage in advance care planning: A systematic review. Scandinavian Journal of Primary Health Care 2013; 31: 215–226.
[10] Nasrouei-Schmidt L. „End-of-Life-Care at Home”. Perspektiven der betreuenden Hausärzt*innen auf die Bedingungen von „gutem“ Sterben zu Hause. Masterthesis an der PMU Salzburg 2023.
[11] Bretschneider C et al. Notfallsituationen und Krankenhauszuweisungen in Pflegeeinrichtungen – ein Scoping-Review zu Begleitumständen und versorgungsrelevanten Maßnahmen. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2022; 65(6):688-696.
[12] Atreya S. et al. Views of general practitioners on end‑of‑life care learning preferences: a systematic review. BMC Palliative Care 2022; 21:162.
[13] https://faktencheck-gesundheit.de (Faktencheck Palliativversorgung von Nils Schneider)